dumm gelaufen...
Männer, die keine Geschichte machten
ANEKDOTEN
heute:
Der redliche Rüdiger

   Rüdiger Luksch war ein redlicher Mensch. Er vermied es nach Kräften, in Situationen zu kommen, in denen er seine Mitmenschen würde belügen müssen. Obwohl er ein recht guter, flüssiger Redner war und auch in Angelegenheiten, die die Politik betrafen, ein profundes Wissen besaß, was sein Beruf als Geografie- und Geschichtslehrer ja in gewissem Masse auch erforderte, nahm er niemals an irgendwelchen politischen Geschehnissen oder gar an Demonstrationen teil. Es lag ihm nicht, persönliche Überzeugungen, die er in Kollegenkreisen sehr wohl zu vertreten wusste, in die Öffentlichkeit hinauszuposaunen.
   Luksch fuhr recht gut mit dieser Einstellung, die er auf alle Bereiche seines stillen Lebens bezog. Große Sorgen oder Probleme blieben seinem Privatleben fern, er vermied auch hier mögliche Krisenherde, indem er ledig blieb und Frauen, so gut es eben möglich war, aus dem Wege ging. Nur selten verließ er seine kleine anonyme Hochhaus-Wohnung. Umso mehr verwunderte es ihn anfangs, daß die Gedanken der Alternativen und Grünen, von denen er hauptsächlich im Radio hörte oder gelegentlich in seiner Tageszeitung häppchenweise zu lesen bekam, ihm sehr nahe gingen und Rüdiger sann viel darüber nach.
   Nach und nach legte er sich eine umfangreiche Sammlung alternativer Literatur zu. Veranstaltungen oder gar Kundgebungen indes mied er weiterhin und hütete sich, seine wachsende Ablehnung und den plötzlich machtvoll in ihm aufkeimenden Ekel vor der naturvernichtenden Industriegesellschaft in seiner Schule zu verbreiten.
   Im Laufe weniger Monate änderte Rüdiger Luksch sein Leben völlig, verzichtete auf den Kleinwagen, auf Fleisch, Alkohol und alle möglichen früher gedankenlos verwendeten Chemikalien. Seine rauschhaft erwachende Liebe zu den natürlichen Lebensformen- und gewohnheiten ging sogar so weit, daß er nachmittags barfuß durch die Wälder und über die Wiesen vor der Stadt wandelte, zärtlich Bäume, Sträucher und Grashalme streichelnd. Stets sammelte er dabei mehrere Taschen voll achtlos weggeworfenen Unrats und schleppte ihn nach Hause, wo er sorgsam aussortierte und auf die verschiedenen Annahmestellen für Wiederverwertung verteilte.
   Eines Morgens jedoch, als er sich von seiner Bastmatte erheben wollte, zog etwas Schweres seinen Kopf zurück. Erstaunt tastete er danach und zuckte zusammen. Etwas Knorriges, Hölzernes war über Nacht aus seinem Kopf gewachsen ! Mühevoll, mit schmerzendem Nacken und klopfendem Herzen zog er sich am Tisch hoch und blickte erstarrend in den Spiegel: ein dichtes grünes Nadelbäumchen reckte sich mitten aus seinem Kopf. Aufstöhnend sackte er in die Knie, krallte beide Hände in die Brust, in der eben sein Herz zu schlagen aufgehört hatte und stürzte mit rauschendem Wipfel in den Teppich.
   Warum straft Gott ausgerechnet die Redlichen ?

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